Dienstag, 23. November 2010

Bella Monte


Es ist Winter. Die Nachbarn nutzen daher ihren Mini-Pool nicht mehr. Das sei so, bei den Canariern, sagt meine Gastgeberin, sie trennen die Jahreszeiten im Kopf, obwohl die Temperaturen sich nicht groß ändern.

Ich war immer noch nicht baden, habe nur meine Füße in das Wasser getunkt, als ich gestern vier verschiedene Strände besuchte. Immer den Uferweg entlang, der ab und zu zu einem Parkplatz wird, manchmal abbricht, so dass man über Felsen klettern muss, was ich sehr mag, besonderes mit Flipflops (ernsthaft, ein bisschen Abenteuer muss sein), ab und zu läuft man direkt an abgezäunten Hotelgeländen vorbei, Zoo-Gefühle. Mal ist der Sand gröber, mal dunkler, die Liegen sind meistens blau, kosten 3 Euro pro Tag (ein Cortado übrigens 1 Euro), die Menschen braun. Ab nachmittags verziehen sie sich in ihre Hotelburgen, "um sich vor dem Abendessen auszuruhen", wie meine Gastgeberin sagt. Oder sie trinken ein Bierchen auf einer Terasse. Wie ich gestern.

Ich bestelle auf Spanisch ein kleines Bier.
Die Kellerin: "Do you need the menu"?
Ich: "Yes, please."
Sie: "Where do you come from?"
Ich: "Germany."
Sie bringt die Karte auf Deutsch, mit einer deutschen Fahne auf dem Einband.
Die Bestellung nimmt schließlich eine weitere Kellnerin auf, die nur Deutsch spricht.
Es scheint, die Lokale haben für jede Touristensprache eine Angestellte.

Nachts sind Sprachen dann überflüssig.

Wir fahren mit einem Taxi nach Puerto Rico. Hier sind alle Hänge mit Hotels zugebaut, die nachts mit leuchtenden Werbeschildern versuchen, wie Las Vegas zu wirken: Bella Monte in grün mit geschwungener Schreibschrift, hoch oben über der Hauptstraße, die zum Hafen führt. An dieser Straße steht die Mall, in der bis 22 Uhr Original-Parfums und Strandklamotten zu erwerben sind. Sind die Geschäfte geschlossen, kommen die fliegenden Händler, Chinesinnen, die Weihnachtsmützen verkaufen und afrikanische Jungs mit Uhren und Feuerzeugen im Angebot.

Auf der zweiten Ebene reihen sich Bars aneinander, ein Disneyland für Alkohol, Live-Musik und Karaoke. Wir lassen uns nicht von den so genannten PR-Menschen, die vor den Türen lauern und jeden mit ihrem freundlich-falschen Lächeln ansprechen, in irgendein Lokal locken, sondern gehen direkt in "The Harp", den irischen Pub, wo der Freund meiner Gastgeberin jeden Abend bis 2 Uhr nachts Evergreens spielt, begleitet von Jason oder Jake, der bei der englischen Castingshow XFactory auf den achten Platz kam und nun sein Leben als Entertainer verbringt... Egal, wer gerade dran ist, singt in die von der Decke hängenden Mikros, daneben baumelt eine Fledermaus aus Stoff, an der Wand prangt die irische Flagge und Holzschnittplakat für den Film Casablanca. Humphrey Bogart hört auch zu, wenn Red, red wine, Neil Diamond, Brown-eyed girl erschallen. Stoff zum Mitsingen für die vielen Männer an der Theke, untersetzt, meist kahlköpfig, Pint in der Hand, mit starrem Blick nach vorne auf die Bühne.

Andere Besucher: zwei jung verheiratete norwegische Pärchen, beide Mädchen in Hot pants, braun gebrannt, knappen Tops, eng anliegenden Frisuren, die Jungs in Polohemden mit knallblonden Strubbelhaaren. Die Mädchen fangen immer dann an zu klatschen, wenn ein älteres Pärchen sich auf die zwei Quadratmetergroße Tanzfläche vor den Musikern wagt. Ein Mann stampft jeden Beat mit den Hacken in den Boden, ein anderer schiebt linkisch seine Frau in irgendwelche Kreiselfiguren, während er mit einem Auge ständig einem der norwegischen Mädchen zuzwinkert. Die Hand, die auf den Po seiner Frau rutscht, eine in weiße Gewänder gehüllte Mitfünfzigerin, gilt dem jungen Ding da. Oder die vier Mädchen aus Dublin, die schweigend in einer Ecke sitzen, Arme auf der Lehne, herausfordernd, und doch gelangweilt. Oder der nerdige Typ mit gelben Reeboks, der seine Hand auf dem Oberschenkel seiner rothaarigen Begleitung immer höher schiebt. Auch sie reden nicht, sie sitzen da und wippen mit den Füßen.

Der Barbesitzer Steve ist allerdings die schrägste Figur, die ich je gesehen habe. Er steht am Anfang der Theke und spricht Beschimpfungen in ein Mikro, fast schon manisch, jeder kriegt seinen Teil ab, besonders die Frauen. "Wie kannst du das aushalten", sagt er zu einem Mann, dessen Frau in allen Farben des Regenbogens gekleidet ist. "Hast du heute nicht in den Spiegel geschaut?". "Leute, bei mir hier vorne steht ein Ire mit dem Namen Shawn Lutoni; ich bin mir sicher, dass einer mit einem solchen Namen ein wahnsinniges Ding hat. Mädchen aus Dublin da hinten, kommt mal rüber und schaut es euch an." Oder er macht sich über Jason, den Casting-Verlierer lustig: "Hey, toll, wie weit du es gebracht hast, du hast internationales Publikum, hello Norway, hello Sweden, hello Scotland, hello Germany!"

Seine Stimme, sein krächzendes Meckern, geht mir nicht aus dem Kopf, als wir in der "Piano Bar" zu "Eight days a week" tanzen, als ich, die jüngste an diesem Ort, von betrunkenen Rentnern angebaggert werde, die kaum noch stehen können, aber mit mir schwofen wollen. Sie verschwinden, als meine Begleiter erzählen, dass sie mein Vater und meine Mutter sind.

In den Kopfstützen der vorderen Sitze des Taxis, mit dem wir zurückfahren, laufen in Schleife Motorrad- und Autounfälle.

Weisheiten des Tages:
Wenn du eine Orchidee kaufst, kaufst du nicht die Ameisen mit./ Cuando compras una orchidea, no compras sus hormigas.
Wenn du müde bist, ist Schlafen das Beste./ Cuando tienes sueno, lo mejor es dormir.
Mutige Mütter haben ängstliche Töchter und andersherum./ Madres ansiosos tienen hijas bravas y vice versa.

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